Wie ist eine gesunde biblische Heilslehre aufgebaut? Und wie gehen wir damit um, wenn sich biblische Lehren zu widersprechen scheinen?
 


Der Begriff Soteriologie (Heilslehre oder Lehre vom Heil) besteht im Griechischen aus den Worten soteria (Heil) und logos (Wort, Lehre). Die nachfolgende Studie versteht hierunter

  • die Anwendung der Segnungen des Heils Gottes, welches der Herr Jesus Christus durch seinen Gehorsam und sein Leiden für uns erworben hat, auf das Leben aller Gläubigen,
  • die Wiedereinsetzung der Gläubigen in die Gunst Gottes und die Wiederherstellung ihres Lebens zu einem Leben der Gemeinschaft mit Gott in Christus.

 

Diese Anwendung ist völlig das Werk des Heiligen Geistes, obwohl es im Glauben angenommen und angewendet werden muss. Es soll in dem nachfolgenden Text davon ausgegangen werden, dass die gesunde biblische Heilslehre auf fünf Hauptsäulen ruht. Sie betont auf der einen Seite die souveräne Gnade Gottes im gesamten Prozess der Errettung, ohne jedoch auf der anderen Seite die Verantwortung des Menschen zu übersehen.

 

Die fünf Säulen sind:

  1. Die souveräne Gnade Gottes entscheidet einerseits, wer von der Sünde errettet und befreit wird, obwohl andererseits auch die Entscheidung des Menschen eine signifikante Rolle in diesem Prozess spielen muss.

 

  1. Die Anwendung des Heils auf Gottes Leute hat ihren Ursprung in Gottes ewigem Ratschluss, nach welchem er sein Volk zum ewigen Leben erwählt hat.

 

  1. Obwohl alle Hörer des Evangeliums zur Annahme der rettenden Gnade eingeladen werden, ja sogar ernstlich dazu aufgefordert werden, wird Gottes rettende Gnade letztlich dennoch nur seinen erwählten Menschen zuteil.

 

  1. Gottes Gnade ist sowohl wirksam als auch unverlierbar. Dennoch können Gläubige abfallen, wenn sie sich selbst überlassen sind. Gott wird jedoch nicht erlauben, dass seine Erwählten die Errettung verlieren. Ihre geistliche Sicherheit hängt vom Wirken Gottes ab, dessen allmächtige Hand sie nicht loslässt.

 

  1. Obwohl die Anwendung des Heils im Leben des Gläubigen auch menschliches Wollen und Wirken mit einschließt, ist sie doch in erster Linie das Werk des Heiligen Geistes.

 

In diesem Sinne ist die Errettung sowohl Gottes souveränes Werk als auch unserer Aufgabe. Man könnte die Aspekte der Errettung auch bezeichnen als zugleich hundertprozentig Gottes Werk und hundertprozentig unsere Aufgabe. Die Aspekte der Errettung sind: Wirksame Berufung, Wiedergeburt, Bekehrung, Buße, Glaube, Rechtfertigung, Heiligung, Ausharren der wahren Gläubigen (den einzelnen Aspekten widmen wir uns in späteren Kapiteln).

 

1.1 Das Konzept des Paradoxons

Ein Paradoxon ist die Kombination von zwei Gedanken oder Lehren, welche sich zu widersprechen scheinen, und welche wir in unserer Gedankenwelt nicht zu harmonisieren vermögen. Trotzdem sind beide Gedanken oder Lehren wahr. In der Bibel begegnen wir einer ganzen Reihe solcher Paradoxa. Wir können oft zwei Lehren in unserem Verstand nicht harmonisieren, glauben sie aber dennoch, weil die Bibel sie beide lehrt.

Beispiel:

Gottes Souveränität

Spr 21,1: „Gleich Wasserbächen ist das Herz des Königs in der Hand des HERRN; er leitet es, wohin immer er will.“

Rö 9,21: „Oder hat nicht der Töpfer Macht über den Ton, aus derselben Masse das eine Gefäß zur Ehre, das andere zur Unehre zu machen?“

Eph 1,11: „… in ihm, in welchem wir auch ein Erbteil erlangt haben, die wir vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt nach dem Ratschluss seines Willens, …“

 

Die Verantwortung des Menschen

Mt 16,27: „Denn der Sohn des Menschen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln kommen, und dann wird er jedem Einzelnen vergelten nach seinem Tun.“

Joh 3,36: „Wer an den Sohn glaubt, der hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm.“

Off 22,12: „Und siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, um einem jeden so zu vergelten, wie sein Werk sein wird.“

 

Beide Aspekte zu gleicher Zeit

Lk 22,22: „Und der Sohn des Menschen geht zwar dahin, wie es bestimmt ist; aber wehe dem Menschen, durch den er verraten wird!“

Apg 2,23: „… diesen, der nach Gottes festgesetztem Ratschluss und Vorsehung dahingegeben worden war, habt ihr genommen und durch die Hände der Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und getötet.“

Wenn wir die Schrift verstehen möchten, dann müssen wir das Paradoxon akzeptieren. Viele große Theologen haben das anerkannt. So verband zum Beispiel Calvin verschiedene Lehren miteinander, welche zwar in sich selbst klar waren, jedoch logisch nicht miteinander zu vereinbaren. Er tat dies, weil die Schrift beide Lehren enthält. Er beugte sich vor dem Geheimnis Gottes in der Schrift und wollte lieber eine Lehre mit vielen logischen Sprüngen aufbauen als eine der reinen menschlichen Logik untergeordnete Lehre: Klarheit einzelner Aussagen bei zugleich oftmals bestehender Unbegreiflichkeit ihrer Beziehung untereinander.

 

James Packer: „Der Gegensatz zwischen göttlicher Souveränität und menschlicher Verantwortung ist nur einer von vielen in der Bibel. Wir dürfen sicher sein, dass all diese Gegensätze im Geist und im Ratschluss Gottes versöhnt sind und wir dürfen hoffen, dass wir sie im Himmel auch selbst einmal verstehen werden. Inzwischen besteht unsere Weisheit jedoch darin, beide scheinbar unvereinbaren Wahrheiten der Schrift gleichrangig aufrechtzuerhalten und dabei anzuerkennen, dass wir hier einem Geheimnis gegenüberstehen, welches wir in dieser Welt nicht zu lösen vermögen.“

 

Vernon Grounds: „So wie ich es sehe ist das Paradoxon im christlichen Glauben kein Zugeständnis: Es ist vielmehr eine unverzichtbare Kategorie, eine schiere Notwendigkeit, ja eine logische Erfordernis. – Wenn unser Glaube kompromisslos biblisch sein möchte! (…) Lassen Sie uns mit Entschiedenheit scheinbar widersprüchliche Wahrheiten anerkennen, indem wir uns stets daran erinnern, dass wir höchstwahrscheinlich gerade dann der Schrift treu sind, wenn wir auf unserem Geist die Last der logischen Spannung spüren. Lassen Sie uns als Evangelikale ohne Zögern das Paradoxon fordern.“

 

G.K. Chesterton: „Das Christentum hat die Schwierigkeit überwunden, wilde Gegensätze miteinander zu verbinden, indem es sie beide zugleich hielt und dies auch noch mit wilder Entschlossenheit.“

 

1.2 Beziehung der Heilslehre zu anderen Lehren der Schrift

Die Heilslehre steht in Beziehung zur Lehre über Gott selbst. Ein falsches Gottesbild führt zu einem falschen Heilsverständnis. Gott rettet weder computergesteuerte Marionetten, noch ist er ein Bittsteller, welcher dankbar ist, wenn sich endlich einmal auch nur eines seiner „souveränen und selbstbestimmten“ menschlichen Geschöpfe zu ihm bekehrt.

Die Heilslehre steht in Beziehung zur Lehre vom Menschen. Weder ist der Mensch neutral, so dass er keine Erlösung benötigt, noch ist er nur krank, so dass er lediglich Heilung benötigt. Nein. Der Mensch ist durchdringend verdorben, er ist verloren und muss gerettet werden.

Die Heilslehre steht in Beziehung zur Lehre von Christus. Christus ist Gott und Mensch in einer Person. Siehe hierzu das Glaubensbekenntnis von Chalcedon aus dem Jahr 451 n.Chr.:

„Folgend also den heiligen Vätern, lehren wir alle einstimmig, dass der Sohn, unser Herr Jesus Christus, ein und derselbe sei. Der eine und selbe ist vollkommen der Gottheit nach und vollkommen der Menschheit nach, wahrer Gott und wahrer Mensch, bestehend aus einer vernünftigen Seele und dem Leibe. Der eine und selbe ist wesensgleich dem Vater der Gottheit nach und wesensgleich auch uns seiner Menschheit nach, »er ist uns in allem ähnlich geworden, die Sünde ausgenommen« (Hebr 4,15). Vor aller Zeit wurde er aus dem Vater gezeugt seiner Gottheit nach, in den letzten Tagen aber wurde derselbe für uns um unseres Heils willen aus Maria, der Jungfrau, der Gottesgebärerin, der Menschheit nach geboren: Wir bekennen einen und denselben Christus, den Sohn, den Herrn, den Einziggeborenen, der in zwei Naturen unvermischt, unverwandelt, ungetrennt und ungesondert besteht. Niemals wird der Unterschied der Naturen wegen der Einigung aufgehoben, es wird vielmehr die Eigentümlichkeit einer jeden Natur bewahrt, indem beide in eine Person und Hypostase zusammenkommen. Wir bekennen nicht einen in zwei Personen getrennten und zerrissenen, sondern einen und denselben einziggeborenen Sohn, das göttliche Wort, den Herrn Jesus Christus.“

 

Die Heilslehre steht in Beziehung zur Lehre vom Heiligen Geist. Der Heilige Geist tut das gesamte Werk der Rettung und Erlösung am und im Menschen, und dieses Werk wird in der Schrift gelehrt, was ja unser Thema ist.

Die Heilslehre steht in Beziehung zur Lehre von den letzten Dingen, also zur Eschatologie. Das Kommen des Herrn auf die Erde leitete die letzten Tage dieses Zeitalters ein, so dass wir bereits heute von einer verwirklichten Eschatologie reden dürfen. Das Kommen des Heiligen Geistes und das Erlösungswerk waren der große Einbruch der ewigen Zukunft Gottes in unsere Gegenwart. Die Gläubigen sind auf dem Weg von der Errettung zur vollständig geoffenbarten Herrlichkeit des Heils, und alle bereits heute vorhandenen geistlichen Segnungen des Heils werden in der Offenbarung Christi und seiner Gläubigen in der Ewigkeit der neuen Welt vollkommen sein. In diesem Sinne reden wir von einer zukünftigen Eschatologie. Wir leben heute in der Spannung zwischen dem „schon jetzt“ und dem „noch nicht“.

 

Rö 8,15-16: „Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, dass ihr euch wiederum fürchten müsstet, sondern ihr habt den Geist der Sohnschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater! Der Geist selbst gibt Zeugnis zusammen mit unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind.“

Rö 8,22-23: „Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung mitseufzt und mit in Wehen liegt bis jetzt; und nicht nur sie, sondern auch wir selbst, die wir die Erstlingsgabe des Geistes haben, auch wir erwarten seufzend die Sohnesstellung, die Erlösung unseres Leibes.“

2Kor 1,22: „… er hat uns auch versiegelt und das Unterpfand des Geistes in unsere Herzen gegeben.“

Eph 2,6: „… und hat uns mitauferweckt und mitversetzt in die himmlischen [Regionen] in Christus Jesus, …“ (schon jetzt)

Kol 3,1: „Wenn ihr nun mit Christus auferweckt worden seid, so sucht das, was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes.“

1Joh 3,2-3: „Geliebte, wir sind jetzt Kinder Gottes, und noch ist nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen aber, dass wir ihm gleichgestaltet sein werden, wenn er offenbar werden wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und jeder, der diese Hoffnung auf ihn hat, reinigt sich, gleichwie auch Er rein ist.“